… von Wünschen unter Bäumen

Unter dem riesigen, uralten Bodhibaum, der neben einem der Tempel in Kataragama steht, kniet eine Frau. Der Saum ihres Kleides kräuselt sich auf dem sandigen Boden, ein aufgeschlagenes Buch liegt auf ihrem Schoß. Wie eine Barke auf hoher, stürmischer See schaukelt und schlingert ihr Körper im Rhythmus des Gebets, in das sie vertieft ist. Ich weiß nicht, worum sie bittet oder welche Gottheiten sie anruft. Was ich sehen kann, ist, dass es sehr ernst ist. Mit aller Kraft stemmt sie sich gegen etwas, das größer und stärker ist als sie. Während ich den Bodhibaum umkreise wünsche ich mir, dass das, worum sie bittet, in Erfüllung geht.   

 

… von Wünschen an eine anderen Welt

Am frühen Abend des vierundzwanzigsten Dezembers werden wir in Colombo auf der Straße von einem Mann angesprochen. Sein linkes Bein ist bandagiert. Ein rot-gelber Fleck breitet sich auf dem weißen Verband aus. An seiner Seite sitzen ein Junge von ungefähr acht Jahren und eine Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Er möchte Geld von uns. 

Wir haben uns vorgenommen, dass wir das Geld, das wir sparen, indem wir nicht mit der Motorradrikscha fahren, sondern zu Fuß gehen, verschenken. Wir geben ihm ein paar Scheine und fragen ihn, die Frau und den Jungen, ob sie etwas essen möchten. Gemeinsam mit ihm und dem Jungen gehen wir zu einem der Restaurants an der Straße und kaufen ein: sechs Stück Samosas und Süßigkeiten. 

Als wir uns verabschieden, erhebt sich die Frau mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm. Es fällt ihr schwer, uns anzusprechen. Sie spricht leise, ihre Augen bleiben gesenkt. Wir verstehen, dass sie gerne Milch für die Kleine hätte, Milchpulver. Gemeinsam mit ihr und dem Mädchen gehen wir in eine Apotheke, die sich nur wenige Schritte entfernt befindet. Der Apotheker ist freundlich, schüttelt aber den Kopf. Nein, Milchpulver habe er momentan nicht vorrätig. Wir müssten ins große Kaufhaus gegenüber, dort gebe es das. Die Frau lässt die Kleine bei dem Mann und dem Jungen. 

Zu dritt überqueren wir die Straße. Am Eingang der Shopping-Mall stehen Securities. Sie lassen uns drei passieren, aber ich spüre die Blicke, die auf unsere Begleiterin fallen. Ich habe das Gefühl, ein Kühlhaus zu durchqueren. Nicht nur die Klimaanlage lässt mich frösteln. Da sind auch die Blicke, die wie Eiszapfen an unserer Begleiterin kleben, die Schultern und Köpfe, die sich abwenden und dabei eine eisige Brise erzeugen.  

Auf unserem Weg, der uns weihnachtlich geschmückte Schaufenster mit teurer Markenkleidung entlang führt, bilden wir einen Spähtrupp: Andreas schreitet voran, die Frau hinter ihm und dann ich als Nachhut. Nachdem wir so eine Zeit lang durch das Kaufhaus geirrt sind, wagen wir es, eine Frau anzusprechen, die in Uniform und mit Putzwagen unseren Weg kreuzt. Andreas spricht sie an, unsere Begleiterin setzt das Gespräch fort. Als die Frau in eine Richtung zeigt, folgen wir dieser dankbar und gelangen in einen überdimensionalen Supermarkt, in dem es eine große Abteilung für Baby- und Kleinkindernahrung gibt.  

Wir stehen vor langen Reihen aus Milchpulverpackungen, alle drei ratlos, bis sich unsere Begleiterin einen Ruck gibt und einen der Männer, die Waren in die Regale schlichten, anspricht. Sie wechseln ein paar Sätze. Schließlich gehen wir zu einer bestimmten Reihe mit größeren und kleineren Kartons. Aus der Nähe betrachtet erweist sich die schier endlose Auswahl als äußerst begrenzt. Die Verpackungen sind unterschiedlich, alle Produkte aber tragen das Emblem jenes Schweizer Großkonzerns, der sich unter anderem mit existenziellen Grundnahrungsmitteln wie Milchpulver und Wasser eine goldene Nase verdient. Unsere Begleiterin wählt eine Packung aus. Zu dritt überprüfen wir, ob es nicht noch eine größere gebe, dann gehen wir zur Kasse und bezahlen. 

Die Packung, die ein halbes Kilo Milchpulver enthält, kostet umgerechnet acht Euro. Dieser Preis steht in keiner Relation zu dem, was Menschen auf Sri Lanka durchschnittlich verdienen. Für die Frau, die mit ihren Kindern und ihrem Mann auf der Straße um Geld bittet, ist er vollkommen unbezahlbar. 

Wir verlassen das Kaufhaus. In der feucht-schwülen Abenddämmerung hasten wir über die Straße, auf der sich hupend Tuk Tuks, Motorräder, Busse und Autos aneinander vorbeidrängen. Zurück bei dem Mann, dem Mädchen und dem Jungen, verabschieden wir uns. Auf dem Weg ins Hotel schreibe ich in meinem Kopf einen Brief an das Christkind: „Liebes Christkind, ich wünsche mir, dass niemand auf dieser Welt Profite aus Nahrungsmitteln schlagen darf.“ Ich lösche den Brief wieder, als mir einfällt, dass auch mein Adressat von dieser Welt ist, in der Milchpulver zu unfassbaren Preisen verkauft wird.