Zwei Wochenenden in Santa Maria del Mar

1.

Fährt man mit der Fähre von Habana Vieja (der Altstadt) über den Hafen auf die andere Seite nach Casablanca, erreicht man gleich den Bahnhof des alten Hershey Trains. Ein Elektrozug, der 1921 vom Schokoladenfabrikanten Hershey gebaut wurde, und in Richtung Osten fährt, wo auch die Badestrände von Havanna liegen. Wir und eine Gruppe Tourist_innen standen dort, ein freundlicher Herr, der im Schatten auf einer Bank saß, neben ihm schlief ein Straßenhund, machte uns freundlich darauf aufmerksam, dass der Zug im Moment nicht fahre. Den überwucherten Schienen zufolge dürfte er das schon seit einigen Monaten nicht mehr.

 

Ein Pärchen aus Polen, das wegen dem Marathon nach Havanna geflogen war, und wir beschlossen ein Taxi zu nehmen. Nach einem kurzen Gang, vorbei an der erhabenen, weißen Christusstatue, die etwas kleiner als jene in Lissabon oder Rio de Janeiro ausgefallen war, entdeckten wir die ersten Fahrzeuge. Ein älterer Kutscher machte uns darauf aufmerksam, dass dies die teuren Taxis waren und ein paar hundert Meter weiter stünden die billigen. Er könne uns dorthin bringen.

„Sehr gut. Machen wir.“ Wir reisten mit der Kutsche zum Parkplatz, wo schon einer mit seinem super Sportwagen auf uns zu warten schien. 25 CUC (1 CUC = 1 Euro) wollte er für die Fahrt an den Strand. Wir stimmten zu.

 

Nach mehreren Startversuchen, da der Motor immer wieder abstarb, nahm er den Schraubenzieher zur Hand, verschwand abwechselnd unter der Motorhaube und im Kofferraum, schien das Auto mit den schnellen Rennstreifen zu funktionieren.

Tatsächlich. Es klang wie eine Rakete. Er drehte das Radio an, der Innenraum füllte sich mit Benzinaroma (Fenster waren natürlich offen) und so sausten wir dröhnend die Straße entlang, bis sich ein merkwürdiges Geräusch bemerkbar machte. Die Fahrer_innen, die uns auf der Autobahn überholten, gaben unserem Taxler aufgeregt Handzeichen. Hinten stimmt etwas nicht. Vorsicht! Stoisch gab unser Lenker Gas und fuhr weiter. Der Radio fiel aus, das Geklapper wurde immer deutlicher zu hören, als wäre eine Achse oder ein Kugellager knapp vor dem Brechen. Nach guten 15 Minuten Fahrt hatten wir Santa Maria del Mar erreicht. Erleichtert stiegen wir aus. Das Gebrechen wurde sichtbar. Hinten war die Halterung für den Sportauspuff gebrochen und hing zur Hälfte auf den Boden. Wir gaben ihm das Geld und er verschwand mit seinem Schraubenzieher, unter dem Auto.

Das Pärchen und wir trennten uns bald darauf wieder. Wir spazierten den Strand entlang, legten uns dann in Sand und genossen das Meer.

 

Am Nachmittag ließen wir uns von einem Taxler zu einer Casa Particular (Privatunterkunft) fahren. Wir schauten sie kurz an und nahmen sie für diese Nacht. Über Santa Maria del Mar ist nicht viel zu sagen. Ein großes Hotel, das im Reiseführer wegen seiner protzigen und geschmacklosen Architektur und überteuerten Preisen nicht gut weg kommt, dann noch ein paar Cafés und Restaurants, dahinter ein sich über mehrere Kilometer ziehender Strand mit Palmen und das dazugehörige lauwarme Meer in Türkis, Hellblau und einem frischen tiefen Blau am Horizont. Aufgeschlagene Kokosnüsse mit Strohhalm werden verkauft und gegen einen Aufpreis von einem CUC mit einem Schuss Rum versehen. An dem Strandabschnitt sind nur wenige Menschen. Jungs (ein Mädchen versuchte sich später auch) übten ihre Capoeira Bewegungen und machen akrobatische Sprünge. Von nebenan schallte ein Ghetto Plaster die besten Schmusehits der 80er.

 

Am Sonntag fuhren wir wieder retour. Die Vermieterin begleitet uns durch ihren Garten und führte uns durch das hintere Gartentor zur Hauptstraße. Sie half uns ein Kollektivtaxi anzuhalten. Nach ein paar Minuten saßen wir schon auf einer rückwärtigen Sitzreihe auf der Ladefläche eines Pick-up, kurze Zeit später stiegen weitere Personen hinzu und wir fuhren weiter Richtung Havanna. Für diese Fahrt zahlten wir insgesamt 4 CUC. Gemeinschaftstaxis haben fixe Routen und zahlen sich aus. Wenn es noch leer ist, besteht für Tourist_innen nur „die Gefahr“, dass es sie sich bei deren Anblick in ein Privattaxi verwandelt und sich der Preis wieder verxfacht. In Kuba gilt – immer zuerst fragen und dann einsteigen.

 

2.

Zwei Wochen später fuhren wir wieder nach Santa Maria del Mar. Dieses mal reisten wir zu dritt und mit dem Bus an, der in der

Nähe vom Fährhafen am Rande von Habana Vieja abfährt. Am Vortag hatten wir bei derselben Vermieterin das Zimmer reserviert. Jenes jedoch vom letzten Aufenthalt war belegt und das angebotene Zimmer entsprach nicht ganz unseren Vorstellungen. Wir konnten das Problem jedoch lösen. Auch das Wetter spielte dieses Mal nicht ganz mit. Der erste Tag war bewölkt und windig. Am Strand flatterte die vor dem starken Wellengang warnende rote Fahne. Sie sollte auch an den nächsten Tagen noch flattern, nur schien an diesen Tagen die Sonne. Trotz oder wegen der Wellen waren einige Leute im Wasser. Wellen anspringen, durchtauchen, auf die Wellen aufspringen und sich mitreißen lassen oder sich einfach von den Wellen anklatschen lassen. Jeder Person mit etwas Phantasie und Freude am Wasser fällt hier das für sich passende ein. Einige Wellenreiter_innen, die sich von einem Gleitschirm ziehen ließen, was dank des Windes bestens funktionierte, kurvten auch der Küste entlang, schnitten die Wellen, sprangen und flogen fast wie in Zeitlupe einige Meter über dem Wasser.

 

Der Kokosverkäufer kam auch wieder vorbei, wie der Strohhut- und Kappenverkäufer, die Chips- und Hörnchenverkäuferin und immer wieder mal patroullierte die Polizei den Strand entlang. Und von irgendwoher schallten kubanische Discohits.

 

Santa Maria del Mar ist ein weitläufiger Ort. Der Strand wird von hier an dutzende Kilometer weiter als Playa de Este bezeichnet. Es ist gut sichtbar, dass gerade nicht Saison ist, jedoch hat man das Gefühl, dass hier die Hauptsaison schon seit Jahren vorbei ist. An einem Abend spazierten wir gegen 19 Uhr herum, auf der Suche nach einem anderen Restaurant. Nach einer Stunde Spaziergang durch die Dunkelheit oder, besser gesagt, durch die von einem klaren Vollmond aufgehellte Dunkelheit, landeten wir wieder bei unserem Stammrestaurant und waren froh, dass es noch offen hatte. Wie immer wurden wie ausgezeichnet verköstigt. Wir gingen regelmäßig in dieses, sowohl in der Früh, als auch am Abend und zwar nachdem wir beim ersten Mal mehrfach gefragt wurden, ob wir am nächsten Tag wieder kommen werden. Es lag nicht an der Hauptverkehrsstraße, sondern etwas rückwärtig in einem Park. Außer uns waren dort nie Gäste zu sehen. Wir kannten das Restaurant schon von unserem letzten Besuch. Auch damals verkehrten wir dort und auch damals waren wir die einzigen Gäste. Nur war dieses Mal das Verhältnis von Gästen und Angestellte ausgeglichen – 3 zu 3. Der Kellner erzählte uns, dass auch hier der Zyklon Irma einiges zerstört hatte und es längere Zeit keinen Strom gab. Mittlerweile wurde es behoben. Er zeigte auf die Straßenlaternen, von denen kaum jede zweite leuchtete. In Costa Rica gebe es teilweise immer noch keinen Strom, behauptete er. (Diese Information hat ein Bekannter mittlerweile bestätigt. Costa Rica - halb US Bundesstaat, halb US Kolonie - ist immer noch ohne Strom. Im Mai sollt es soweit sein...) Nach dem Essen gingen wir nach Hause, den Hang hinauf, auf dem der Großteil der Siedlung lag und von dem aus eine_r weit über das Meer sehen konnte.

 

Dort oben befand sich auch ein kleiner Supermarkt mit recht gehobenen Preisen (eine Packung Reiswaffel kosten knappe 3 Euro, eine große Dose Thunfisch 6 Euro), mit einer eigenartigen und spärlichen Produktauswahl, wobei Rum, Bier und Wasser das Angebot dominierten.

Dass es nicht an allen Tagen alles gibt, war uns von Havanna schon bekannt. Das erwähnte Restaurant hatte zum Beispiel Milch, die es im Café nebenan nicht gab, dafür keinen Fruchtsaft, den es ansonsten fast überall gab. Das Restaurant hatte auch Eier, die zu der Zeit in Havanna nur schwer zu finden waren.

 

Ein Freund, dem ich davon berichtet hatte, hat mir folgenden DDR Spruch geschrieben: „Es gibt hier alles, jedoch nicht am selben Ort, zur selben Zeit.“ Dieser gilt auf jeden Fall auch für Kuba. Keine Milch (für Kaffee) und Fruchtsäfte sind zwar Urlauber_innen Luxusprobleme, jedoch der Mangel betrifft vor allem die Kubaner_innen in ihrem Lebensalltag. Von einem Angestellten der Uni Havanna haben wir am ersten Tag des Spanischkurses folgenden Tipp erhalten: „Wenn ihr im Geschäft etwas seht, das ihr brauchen könnt, dann kauft es. Man weiß nie, ob es das am nächsten Tag noch gibt.“ Und dabei ging es ihm nicht darum, den Konsumrausch in uns zu entfachen, sondern uns darauf aufmerksam zu machen, dass es hier eine Ökonomie gibt, die nicht ständig alle Produkte zur Verfügung stellen kann.