Von 5. bis zum 7. Dezember machten wir mit Student_innen des Germanistik Institutes an der FLEX (Facultad de Lenguas Extranjeras) und der Catedrá Humboldt in Havanna einen Schreibworkshop. Unterstützung erhielten wir nicht nur von den beiden Institutionen, sondern auch von der österreichischen Botschaft – wofür wir uns bedanken.
An den drei Nachmittagen erarbeiteten wir mit den Student_innen, die alle deutsch studierten und lernten und sich in unterschiedlichen Lernphasen befanden, literarische Text, die am letzten Workshoptag und bei der Weihnachtsfeier des Germanistikinstituts präsentiert wurden.
Was wir zusammen gemacht haben: Die Teilnehmer_innen haben Orte in Havanna, die für sie eine besondere Bedeutung haben, genannt und von ihnen erzählt. Diese wurden in einen Stadtplan von Havanna eingetragen. Die Verbindung dieser Orte hat eine Figur ergeben, die einer der Ausgangspunkte war für mögliche Überschriften für literarische Texte.
Entlang von drei weiteren Impulswörtern, die in dem Text vorkommen oder beachtet werden sollten, ging es dann los.
Es wurde geschrieben, vorgelesen, korrigiert, überarbeitet und dann an einer Präsentation der Texte gefeilt…. Denn wer schreibt, muss auch lesen!
Wir bedanken uns nochmals recht herzlich bei allen Teilnehmer_innen und Unterstützer_innen – denn die drei Tage haben uns wirklich Spaß gemacht.
Und wie immer und überall gilt:
Literatur von und für alle!
Denn schreiben und (vor)lesen kann jede/r, eine/r muss es nur tun!
Die gefährlichste Schlange auf Kuba heißt cola. Sie ist zu jeder Tages- und Nachtzeit in Havanna anzutreffen und bildet sich mit Vorliebe vor Perro-Caliente (also: Hot-Dog-)Ständen, vor Vertriebsstellen für Internet- und Telefonwertkarten, vor Kinos, Banken (inklusive Bankomaten), Geschäften und natürlich vor Ämtern. Die colas fressen Zeit und sind ausgesprochen nervtötend.
L@s Cuban@s sind im Gegensatz zu Mitteleuropäer_innen ausgezeichnete Schlangensteher_innen. Als Neuankömmling gilt es herauszufinden, wer die letzte Person in der Schlange ist, um sich entsprechend einreihen zu können. „¿Quien es el ultimo?“, oder noch kürzer „¿El ultimo?“ ist dabei die gängige Frage. Wer es geschlechtergerechter haben möchte kann auch nach der letzten Person – „¿La ultima persona?“ – fragen.
Um nicht mitunter stundenlang in der falschen Schlange zu stehen, lohnt es sich, seine (wenn auch bescheidenen) Spanischkenntnisse hervorzukramen und zu fragen, welche Schlange sich zu welchem Zweck gebildet hat, denn meistens gibt es mindestens zwei Schlangen. Vor der Vertriebsstelle für Internet- und Telefonwertkarten etwa steht eine Reihe Menschen für Telefonverträge, Rechnungsfragen etc. an, während die andere Reihe sich um die Wertkarten bemüht. „¿Esta cola es para comprar las tarjetas de navigación?“ wäre in diesem Fall eine angebrachte Fragemöglichkeit, oder ganz allgemein „¿Esta cola es para qué?“
Die Reihenfolge wird so penibel wie möglich eingehalten und versuchtes Vordrängen streng geahndet. Wer sich zu zweit oder zu dritt einen Schlangenplatz teilt, hat den Vorteil, zwischendurch Kaffee und Essen holen zu können. Auch ist es möglich, sich von anderen Personen in der cola vertreten zu lassen. Dies kann als Freundschaftsdienst unter Freund_innen, aber auch als bezahlte Dienstleistung in Anspruch genommen werden. Der Beruf der Schlangensteher_innen ist einer der Anfang der 2010er Jahre offiziell zugelassenen Berufe, zu denen auch die Feuerzeugreparateur_innen oder die Nägellackierer_innen gehören.
Seit dem 31. Oktober wohnen wir in einer Casa Particular in Centro Habana in der Calle Animas 1008. Dass wir dort untergekommen sind, war mehr ein Zufall, denn reserviert hatten wir eine andere Casa. Die Besitzerin hat uns aber „umgebucht“, da ihr Appartement noch einige unbehobene Schäden vom Hurrican Irma hatte. Wir vermuten, dass sich die Casa Particular Betreiber_innen, die kubanische Bezeichnung für Privatzimmervermietung, in diesem Grätzl sich die Tourist_innen weiter reichen, wenn sie ausgebucht sind oder aus sonstigen Gründen gerade keine aufnehmen können. Wir hatten Glück bzw. sind sehr glücklich hier gelandet zu sein.
Die Vermieterin, Mimi, ist eine ältere Dame, die allein in der Wohnung wohnt und zwei Zimmer (inklusive Dusche und Bad) vermietet. Zu dem Gästebereich gehören auch noch eine Kochzeile, ein Esszimmer und ein großer Wohnbereich mit Blick bzw. Tür auf die Straße – in „unsere“ Animas. Mimi wohnt im hinteren Teil der Wohnung, hat dort noch einen kleinen Innenhof, eine Küche und ein kleines Zimmer in dem sie selbst wohnt. Sie hat uns erzählt, dass sie in den 70er Jahren fünf Jahre lang in der Sowjetunion arbeitete. Einige Gegenstände und Möbel zeugen noch von dieser Zeit. „Hace mucho calor“, und dass sie die Kälte lieber habe, hat sie uns an einem schwülen Novembertag erklärt. Auch dass sie den Schnee vermisse. Über ihr Leben wissen wir ansonsten fast nichts, außer dass sie regelmäßig in die Kirche geht. Mehr erzählt ihre Angestellte, Reyna, die mit ihrem Lebensgefährten in der Wohnung dahinter wohnt. Sie ist in einem ähnlichen Alter, sie feierte im November ihren 59er. Sie kümmert sich um den Gästebereich und bietet für 4 Euro (pro Person) ein Frühstück an. Wir haben von Anfang an darauf zurückgegriffen. Sie erzählt uns von der schwierigen Situation in Kuba, der harten Arbeit und ihren körperlichen Leiden, die diese noch erschweren, von den Schwierigkeiten Lebensmittel zu bekommen und auch ihrer prekären finanzielle Situation, da sie mit ihrem Einkommen ihre (erwachsenen) Kinder und deren Familien, die in einer Kleinstadt im Osten leben, unterstützt. Ihr Lebensgefährte, der uns an manchen Tagen das Frühstück serviert, arbeitet als Professor für spanische Literatur und verdient umgerechnet 1 Euro 20 pro Tag, das sind weniger als 40 Euro pro Monat.
Die Animas ist eine kleine Straße am östlichen Ende von Centro Habana. Sie reicht fast bis zum Malecón. Der Stadtteil selbst liegt zwischen der großen Altstadt / Habana Vieja und dem etwas feineren Vedado. Für Tourist_innen gibt es hier nur wenig zu sehen – außer den Straßen und Gassen mit ihren teilweise verfallenen Häusern, den Straßenhändlern mit ihren Wägelchen, den verschiedenen Mechanikern, die ihre Reparaturen an allen möglichen Gefährten durchführen, den Schulkindern, die ihren Turnunterricht auf der Straße absolvieren, den Hunden und vielen, vielen Katzen, die auf den Gassen herum tollen und in den Müllcontainern nach Speiseresten stöbern, sowie den kleinen Läden und Cafés, die durchs Fenster, im Vorraum einer Wohnung oder aus dem dritten Stock per heruntergelassenem Kübel betrieben werden. Der Stadtteil ist, wie der Name es sagt, das Zentrum – dort wo viele Menschen leben.
Auch in Havanna gibt es Graffiti oder Wandmalereien. Eines ist uns bei unseren Spaziergängen durch Centro Habana aufgefallen und seitdem entdecken wir es an den verschiedensten Ecken und Plätzen der Stadt. Und jedes Mal, wenn wir eines sehen, dann gibt‘s ein Foto davon.
Auch dies ist ein Möglichkeit sich einer Stadt zu nähern – mit ihren Botschaften an den Wänden.
Und in diesem Falle ist es eine besondere. Bild, Satzzeichen und eine vermeintlich richtige oder falsche Rechnung.
Wie in einer verkehrten Welt spielt der/ die Graffitikünstler/in mit den Betrachter_innen. Ein doppeltes Versteckspiel und seine verwirrende Gleichung. El mundo al reves – die verkehrte Welt oder ist es doch die Welt, die verkehrt ist? Die Schwierigkeit hier ist zu verstehen, was stimmt und was nicht stimmt. Woran soll man sich orientieren und wo setzt man den Maßstab an? An dem reichen Kuba vor der Revolution, wo ein großer Teil der Menschen verarmt war? Oder an dem heutigen Kuba mit wieder einer großen Armut und einer stetig wachsenden Ungleichheit? An den neuen Eliten? An dem reichen und wohltemparierten Europa, an den USA, an Mexico oder doch an der domenikanischen Republik? Ein älterer Mann, der uns in der Straße vor seinem Haus angesprochen hat, hat uns erklärt: „Sozialismus ist gut, wenn es viel gibt.“
Das stimmt. Aber wenn es viel gibt, vor allem für Alle viel gibt… dann kann 5 + 5 auch 11 sein.