Grafiken: Mira Haumer

Ein seltsamer Wahn – Dramolett zum 200jährigen Karl-Marx-Jubiläum

"Ein seltsamer Wahn beherrscht die Arbeiter(Innen)klasse der Nationen, in denen die kapitalistische Zivilisation regiert."

 

So beginnt der Text «Das Recht auf Faulheit» von Paul Lafargue, seines Zeichens Schwiegersohn von Karl Marx. Der Wahn heißt: «Recht auf Arbeit».

Wir sagen: 3 Stunden Arbeit sind genug!

 

Es spielten und lesen: Peter Haumer, Anna Leder, Andi Pavlic und Eva Schörkhuber.

Ein seltsamer Wahn

Text: Sole Noir

Figuren: Laura, Karl und Paul

Szene 1: Ein Zimmer mit einer Ballettstange

Szene 2: Irgendwo an einem See, ein Papierschiffchen schaukelt am Wasser, Personen sind keine am Schiff zu sehen

Die Regieanweisungen bzw. Beschreibungen innerhalb der Gedankenstriche werden von den Figuren mitgelesen

 

1. Szene

 

Laura: – Karl lehnt an einer Ballettstange und blickt versonnen ins Leere. Als Paul und Laura das Zimmer betreten, beisst Karl die Zähne zusammen und zappelt mit einem Bein auf und ab. –

Geh' Papa. So wird das nichts. Du musst den Rücken gerade halten und das Bein mit der Atmung heben.

 

Karl: – Karl richtet sich auf und hebt stöhnend sein Bein.–

HHHHHHAaaaa...

 

Laura: Sehr gut. L_a_n_g_s_a_m und g_a_n_z entspannt. Papa.

 

Karl: Sklaventreiber seid ihr...

 

Paul: – Paul zieht eine Augenbraue nach oben und lächelt vielsagend. –

Aber Papa…

 

Karl: – Karl hält abrupt inne. Die Knöchel der Finger, mit denen er die Ballettstange umklammert hält, werden weiß vor Anstrengung. –

Nenn mich nicht „Papa“!

 

Paul: Mein lieber Herr Schwiegerpapa. Diese Tanzstunden sind wichtig. Jetzt wo dank der aufgeweckten kommunistischen Geister das Proletariat von seinen Ketten befreit ist und eine neue Welt gewonnen hat…

 

Laura: – Laura stößt Paul in die Seite. Paul gigst und macht einen kleinen Sprung in die Luft. –

Was Paul sagen will, ist, dass, nachdem sich euer Gespenst in eine Art Weltgeist verwandelt hat, die Arbeiter und Arbeiterinnen Friedrich und dich allzu genau beim Wort nehmen. Aus ist`s mit der Dialektik. Sturheil halten sie fest am Arbeitszwang für alle, alle wollen Söldner sein in den industriellen Armeen...

 

Paul: – Pauls Wangen färben sich vor Eifer rot. –

Wie akardische Papageien plappern sie die Lehre von euch Ökonomen nach: „Lasst uns arbeiten, lasst uns arbeiten“. Die nun endlich regierende Arbeiterklasse wird selbst regiert...

 

Laura: … von dem Diktat der Arbeit.

 

Karl: – Karl stampft auf mit dem Bein, das er eben noch mühevoll in die Höhe gestreckt hat. –

Ja und ihr lässt mich jetzt antanzen, um...

 

Laura und Paul: …ja! um ein Vorbild zu sein. Ein Vorbild im Müßiggang.

 

Paul: – Paul schlägt sich nicht ohne Stolz leicht auf die Brust. –

Du hast doch mein Büchlein gelesen, nicht?

 

Karl: Das über die Faulheit?

 

Paul: Über das Recht auf Faulheit. Jawohl. – Er beginnt in erhabenem Tonfall zu rezitieren –

Wenn es keine Lakaien und Generäle mehr gibt, keine Slim-fit Anzug- und Aktenkofferträger mehr, wenn es keine Kanonen auszubohren und keine Paläste mehr zu bauen gibt, wenn Verkaufsschürzen und Abendroben in Kleiderkästen verstauben, weil die unnütze Arbeit verschwunden ist und all die tausend Maschinchen und Apparaturen für uns vor sich hin werkeln, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter sich selbst durch strenge Gesetze gesunde Bootsfahrten und Tanzübungen zur allgemeinen Gesundung und zum Vergnügen auferlegen, dann ...

 

Karl: Und warum muss ausgerechnet ich tanzen?

 

Laura: Weil sie auf dich hören. Du sollst ihr neuer Tanzlehrer werden.

 

Karl: – Karl reißt seine Hand in die Höhe, schwingt drohend die Faust, beginnt mit den Armen zu rudern und ergreift sofort wieder die Stange. –

 

Laura: Vorsicht Papa. Du musst dich festhalten.

 

Karl: Ich muss gar nichts. Die Arbeiterklasse ist nur klasse weil sie... arbeitet… ach ihr...!

 

Laura: – Karl nimmt die Hand wieder von der Stange und zeigt drohend auf die beiden, verliert den Halt und kracht zu Boden. Paul und Laura eilen ihm zu Hilfe. Karl weist die ihm gebotenen helfenden Hände brüsk von sich. Er richtet sich auf und klopft den Staub von seiner Hose. –

Es ist ja nur eine vorübergehende Maßnahme, du weißt schon, ein dialektischer Zwischenschritt.

 

Paul: – Paul macht zur Illustration einen schnellen Wechselschritt. –

 

Laura: Sobald sich die Arbeiterinnen und Arbeiter dem Diktat der Arbeit entzogen, sich vom allgemeinen Arbeitszwang entwöhnt und gelernt haben, tatsächlich frei über ihre Zeit zu verfügen...

 

Paul: … dann werden auch die Tanzstunden nicht mehr nötig sein. Dann werden sich alle auch ohne großes Vorbild im Müßiggang zurecht finden.

 

Karl: Karl kratzt sich am Kopf und blickt abwechselnd zu Paul und Laura. Er greift wieder zur Stange, hebt langsam das Bein in die Höhe und atmet laut. –

Und warum nicht der Friedrich? Der ist viel gelenkiger als ich.

 

Laura: Geh Papa, der Friedrich...

 

Paul: … der übt sich im Boot Fahren und im Däumchendrehen.

 

Laura: Ja, und er kann schwimmen. Falls was passiert.

 

2. Szene

 

Paul: – Paul, Laura und Karl machen einen Spaziergang den See entlang. Auf der leicht gekräuselten Wasseroberfläche schaukelt ein Boot. Dumpfe Trommelschläge dringen ans Ufer. Karl tänzelt im Rhythmus der Trommelschläge. Paul und Laura wenden sich dem Boot zu. Sie rufen. –

 

Laura: He, Friedrich, was treibt ihr da? Ihr sollt doch nicht arbeiten hier...

 

Paul: Eure drei Tagesarbeitsstunden sind doch längst vorbei. Hört auf zu trommeln. Lasst euch treiben, lasst euch gehen!

 

Laura: Nein, auch nicht rudern. Ja. So. Sehr gut. Lasst die Hände ins Wasser baumeln.

 

Paul: Bravo Friedrich. Spritzt euch mit dem Wasser an. Habt Spaß.

 

Karl: Schaut. Ich kann jetzt auch schon eine Pirouette.

– Karl nimmt Anlauf, springt in die Luft, landet und dreht sich. –

 

Laura: Sehr gut Papa. Das wird die Arbeiterinnen und Arbeiter auf andere Gedanken bringen.

 

Paul: Ja, dann drehen sie sich endlich um sich selbst und miteinander…

 

Laura: …und nicht mehr nur um ihre Arbeit.

 

Karl: Ja. Morgen nähe ich mir ein Baströckchen. Ich probier‘s zumindest. Der vierte Band vom Kapital kann warten. Und wenn ich mir vorstelle, wie sich die Leute in den nächsten 200 Jahren auf auf die ersten drei Bände stürzen, jedes Wort tausend Mal auf- und abwägen werden, anstatt sich auf die eigenen Beine und die Revolution auf kräftige Füße zu stellen, dann wird mir ganz schwindelig – da tanz ich doch lieber in meinem Röckchen.

 

Laura: Ganz recht Papa, das Röckchen ist wichtiger. Die Leute haben mit den ersten drei Bänden eh schon genug zu tun. Das reicht.

 

Paul: Und vergiss nicht: Nicht länger als drei Stunden am Tag arbeiten!

 

Karl: – Karl nickt. Alle drei winken noch einmal in Richtung Boot, das auf dem See schaukelt und schlingert. Auf dem Rückweg singen sie:

 

Karl, Paul und Laura:

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,

die stets man noch zur Arbeit zwingt!

Der Faulheit Glut im Kraterherde

nun mit Macht zum Durchbruch dringt.

Reinen Tisch macht mit dem Arbeitszwängler!

Heer der Schuftenden, wach auf!

Nur zu hackeln, tragt es nicht länger

Nichts zu tun, strömt zuhauf!

|: Völker, hört die Signale!

Auf zum letzten Gefecht!

Die Internationale

erkämpft das Menschenrecht. :|

das Menschenrecht – auf Faulheit!